Interview
«Kinderärzt:innen sind wertvolle Wegbereiter»
Die Betreuung schwer kranker Kinder stellt Familien vor enorme Herausforderungen – körperlich, emotional und organisatorisch. Christian Ziegler ist Mitglied des Stiftungsrates des allani Kinderhospiz in Bern. Im Interview spricht er über die Rolle der Kinderärzt:innen, die Bedeutung frühzeitiger Begleitung und die Versorgungslücke, die ein Kinderhospiz schliessen kann.
Das allani ist das erste Kinderhospiz in der Schweiz. Warum braucht es eine solche Institution und für wen ist Allani der richtige Ort?
Lebensverkürzend erkrankte Kinder brauchen meist rund um die Uhr spezialisierte Versorgung, doch das Schweizer Gesundheitssystem bietet bislang keine adäquate Lösung für die individuellen Situationen und Bedürfnisse der betroffenen Familien. Spitäler sind auf akute medizinische Versorgung ausgelegt, Spitex-Dienste unterstützen zwar zuhause, können aber die umfassende Pflege und psychosoziale Betreuung, die ein Kinderhospiz bietet, nicht ersetzen.
Hier schliessen Kinderhospize eine essenzielle Versorgungslücke. Sie bieten Übergangspflege nach Spitalaufenthalten, Krisenintervention in instabilen Phasen und wertvolle Unterstützung für Familien, die zuhause an ihre Grenzen stossen. Ob wiederkehrende Aufenthalte für einige Wochen zur Entlastung oder für die letzte Lebensphase – ein Kinderhospiz gibt Familien die Kapazität, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: ihre gemeinsame Zeit mit ihrem Kind.

Es gibt auch andere Angebote wie z.B. die Spitex. Warum haben Eltern oder Familien das Bedürfnis auf eine Betreuung ausserhalb ihrer vier Wände?
Grundsätzlich sind die Bedürfnisse der Familien sehr unterschiedlich. Die Betreuung eines komplex erkrankten Kindes im häuslichen Umfeld ist oft sehr aufwändig. Es erfordert von den Eltern ein gutes Verständnis über das Krankheitsbild, Fachwissen darüber, wie das Kind überwacht und im Falle einer Verschlechterung reagiert werden muss und viel Knowhow der pflegerischen Massnahmen. Dies erfordert Zeit und Präsenz der Eltern.
Die Kinderspitex bietet entsprechend dem Pflegeaufwand die nötige Unterstützung im Alltag, ohne die eine Betreuung zu Hause oft gar nicht möglich wäre. Spitexressourcen sind nicht unbegrenzt. Ein grosser Teil der Betreuung bleibt daher weiterhin bei den Eltern selbst. Das sind grosse Herausforderungen an ein Familiensystem und kann zu Erschöpfung oder Isolation führen. Strukturen wie ein Kinderhospiz bieten da die nötige Entlastung und Unterstützung im Alltag. Ein Ort, an dem sie zurücklehnen können, auftanken, sich stärken und Zeit nehmen für die Geschwisterkinder, die oft hintenanstehen. So hat ein Kinderhospiz auch eine Funktion der Erhaltung des funktionierenden Familiensystems und somit der Gesundheitsprävention.

Christian Ziegler (Mitglied Stiftungsrat allani)
Die Palliativversorgung von Kindern beginnt oft nicht erst im Hospiz, sondern bereits in der Praxis. Welche Rolle spielen Kinderärzt:innen in der frühzeitigen Begleitung von lebensverkürzend erkrankten Kindern und ihren Familien?
Kinderärzti:innen spielen eine zentrale Rolle in der Versorgungskette. Oft kennen sie nicht nur das betroffene Kind am längsten, sondern auch die Geschwisterkinder und somit das Familiensystem. Mit dem Hauptziel, das kranke Kind möglichst im vertrauten Umfeld zu Hause betreuen zu können, sind sie für die Familie wichtige Ansprechpersonen.
Oft werden Kinder mit einer lebensverkürzenden Krankheit auch durch Fachspezialist:innen im Kinderspital betreut. Gerade aber in einer palliativen Situation bedeutet eine Kontrolle im Zentrumsspital oder eine Hospitalisation oft Stress, durch lange Anfahrtswege, viele Ansprechpersonen. Da ist der Kontakt zu Kinderärzt:innen als Vertrauenspersonen enorm wertvoll.
Und zudem können Kinderärzt:innen aufgrund ihrer Beziehung zu den betroffenen Kindern und deren Familien häufig gut einschätzen, ob die Familie von einen Entlastungsaufenthalt in einem Kinderhospiz profitieren würde. Hier können die Pädiater:innen wertvolle sein, indem sie den Familien bereits in der Praxis die (oft falsche) Sorge vor einem Hospiz nehmen und mögliche Entlastungsaufenthalte mit den Familien ansprechen können.

Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Kinderärzt:innen, Palliativteams und dem Allani Kinderhospiz konkret aus? Welche Schnittstellen gibt es, und wie können Ärzt:innen ihre Patient:innen optimal an ein Hospiz oder palliative Netzwerke überweisen?
Ein gutes Schnittstellen-Management ist essenziell. Viele Eltern berichten, dass das Wiederholen der Krankheitsgeschichte und das Kennenlernen von vielen verschiedenen Fachpersonen in der Betreuung des Kindes belastend ist. Der multiprofessionelle und ganzheitliche Fokus der palliativen Versorgung hilft, nebst den physischen, auch die psychosozialen und spirituellen Bedürfnisse einzuschliessen. Dabei ist die Zusammenarbeit unter den Playern zentral. Oft übernimmt das Pediatric Palliative Care Team (PPC-Team) aus dem Kinderspital als Netzwerkstützpunkt eine koordinative Rolle ein. Ist das Kind (noch) nicht an einem PPC-Team angeschlossen, kann die Koordination auch durch den Kinderarzt bzw. die Kinderärztin oder eben das Kinderhospiz übernommen werden.
Wichtig dabei ist die Kommunikation und Rollenklärung untereinander. Die Strukturen und verfügbaren Ressourcen der PPC-Teams sind in der Schweiz leider noch sehr unterschiedlich. Ansprechpersonen der PPC-Teams sind in den Kinderspitälern jedoch etabliert und eine Zuweisung ins allani Kinderhospiz kann auch ganz einfach telefonisch oder per E-Mail erfolgen.
Kinderärzt:innen sind oft die erste Ansprechperson für Eltern, wenn eine schwere Diagnose gestellt wird. Wie können sie betroffene Familien bestmöglich begleiten und das schwierige Thema Palliativmedizin behutsam ansprechen? Gibt es bewährte Strategien für solche Gespräche?
Grundsätzlich gilt es, den Eltern die Angst vor dem Begriff Palliative Care und auch Hospiz zu nehmen. Oft werden diese Worte auch heute noch mit Sterbebegleitung und Tod gleichgesetzt. Doch führen Krankheiten in der Pädiatrischen Palliative Care häufig nicht unmittelbar zum Tod. Bei der palliativen Begleitung geht es viel mehr darum, eine Familie mit einem Kind mit einer schwerwiegenden Diagnose zu begleiten, eine möglichst gute Lebensqualität zu schaffen, trotz einer potenziell lebensverkürzenden Krankheit. So entsteht nicht selten eine Begleitung des Kindes und der Familie über viele Jahre.

Es gilt, die Familie heranzuführen in eine neue Lebenswelt und dabei das Familiensystem im Auge zu behalten, so zum Beispiel die berufliche oder finanzielle Situation der Eltern oder die gesunden Geschwisterkinder, die oft im Schatten stehen. Die Neudiagnose einer potenziell lebensverkürzenden Krankheit ist meist mit einem Schock oder dem Gefühl verbunden, den Boden unter den Füssen zu verlieren. Dabei ist im Gespräch eine gute Mischung zwischen Ehrlichkeit, die Sache beim Namen nennen, aber auch Hoffnung schenken und Wege aufzuzeigen gefragt. Zeit geben und da sein für die Familie sind wichtige Faktoren.
Und schlussendlich ein Netz aufbauen, welches die Familie in dieser neuen Situation ihren Bedürfnissen entsprechend unterstützen kann. Dabei kann auch ein Kontakt zu einer anderen, ähnlich betroffenen Familie hilfreich sein. Gerade da kann ein Aufenthalt im Kinderhospiz helfen, wieder Boden unter den Füssen zu bekommen, die neuen Informationen einzuordnen, Ängste anzusprechen, sich mit anderen betroffenen Familien zu vernetzen, sich in der neuen Familiensituation zurechtzufinden.
Welche Entwicklungen oder Verbesserungen wünschen Sie sich für die pädiatrische Palliativmedizin in der Schweiz, insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Kinderärzt:innen? Gibt es Best-Practice-Beispiele aus anderen Ländern, die als Vorbild dienen könnten?
Laut dem nationalen Rahmenkonzept Palliative Care entspricht die pädiatrische Palliative Care einer spezialisierten Versorgung. Trotzdem erhalten in der Schweiz nur etwa 10 % der Kinder und Jugendlichen mit potenziellem Bedarf eine spezialisierte Palliative Care (4). Eine flächendeckende palliative Versorgung durch spezialisierte Teams ist in der Schweiz schlicht noch nicht vorhanden. Spezialisierte PPC-Teams, welche üblicherweise im Zentrumsspital beheimatet sind, bieten je nach Region unterschiedlich ausgebaute Leistungen erst lückenhaft an. Die Finanzierung und damit verbundenen Ressourcen sind aktuell sehr unterschiedlich. Ebenso liegt ein grosser Entwicklungsbedarf in der vorgeburtlichen Palliative Care. Eine Unterstützung durch die Palliative Care sollte auch dann angeboten werden, wenn Eltern in der Schwangerschaft eine schwerwiegende Diagnose ihres ungeborenen Kindes erhalten, damit sie nebst der Geburtshilfe und anderen Fachspezialisten, auch Unterstützung in der Entscheidungsfindung und der Vorausplanung durch PPC Spezialist:innen erhalten.

Die Zusammenarbeit mit den Kinderärzt:innen ist aus obengenannten Gründen essentiell. Kinderhospize schliessen eine Versorgungslücke und müssen gesetzlich verankert und einheitlich finanziert werden.
Ein direkter Vergleich mit anderen Ländern ist schwierig, aufgrund unterschiedlicher Gesundheitssysteme der Grundversorgung.
allani finanziert sich zu 100 % aus Spenden – bis Ende Jahr ist die finanzielle Situation gesichert. Wie geht es dann weiter? Wie sehen sie die Rolle der Politik? Wo sollte der Bund ihrer Meinung Hand bieten?
Wir sind diesbezüglich optimistisch. Einerseits verfolgen wir eine sehr gezielt aufgebaute und fokussierte Fundraising-Strategie. Und wir können mittlerweile einen Teil der Pflegeleistungen über die IV und die Krankenkassen abrechnen. Andererseits tauschen wir uns intensiv aus mit den verschiedenen nationalen und kantonalen Gremien. Unser Ziel ist es, eine nachhaltige Finanzierung zu sichern. Um dies zu erreichen, nutzen wir jede Möglichkeit – sei es aktuell durch ein Pilotprojekt im Kanton Bern (Gespräche mit der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion laufen) oder langfristig durch eine schweizweite Gesetzesänderung.
Informationen zum Thema «Pädiatrische Palliative Care»
- Ambulante Pädiatrische Palliative Care (praktischer Leitfaden)
- Vertiefte Abklärungen zum Pädiatrischen Palliative-Care-Bedarf in der Schweiz (Kurzbericht)
- Pädiatrische Palliative Care (Zeitschriften)
- allani Kinderhospiz Bern