Loading ...

Das Magazin der Berner Haus- und Kinderärzt:innen

Lesedauer ca. 4 Min.

Keine Zeit – ich nutze sie!

Carte Blanche

Keine Zeit – ich nutze sie!

Bei zunehmendem Mangel an Hausärztinnen und Kinderärzten sowie rigiden gesetzlichen Vorschriften bleibt uns immer weniger Zeit für unsere Patientinnen und Patienten. Deswegen sollten wir das therapeutische Potential der Konsultation bestmöglich und zielgerichtet nutzen. Zum Wohl der Patientinnen und Patienten sowie von uns selbst.

Im Buch «Die ärztliche Konsultation – systemisch-lösungsorientiert» zeige ich zusammen mit Peter Ryser einen Weg, wie der Arzt die Konsultation – methodisch strukturiert in sieben Schritte – zielführend gestalten kann. Wie er zusammen mit der Patientin ein gemeinsames Verständnis für das Symptom / Problem entwickeln, mit Angst und Ungewissheit umgehen sowie einen angemessenen, kontext- und personenbezogenen Abklärungs- und Behandlungsprozess erarbeiten kann. 

1 - Ich breite mich vor.
Bevor ich den Patienten begrüsse, vergegenwärtige ich meine momentane Befindlichkeit und die Person, die ich empfangen werde, mit ihren persönlichen Stärken, Schwächen und Ressourcen, die wir aktiv in den therapeutischen Prozess einbeziehen können. Ich reflektiere, wie wir zueinander stehen und miteinander umgehen. Das aktuelle Problem, soweit bekannt. Seine Krankengeschichte, soweit sie relevant erscheint. Meine und seine zwischenzeitlichen Aufgaben sowie gegebenenfalls Pendenzen. Ich setze meine Agenda.

2 - Ich baue eine zielführende Zusammenarbeit auf.
Ich baue einen wertschätzenden und zugewandten Kontakt auf. Ich interessiere mich für den Grund der aktuellen Konsultation und wie sie zustande gekommen ist. Bei mehreren Gründen erarbeiten wir die Prioritäten. Wir klären das Ziel der Konsultation und den Auftrag an mich.

Bei einem ersten Kontakt teile ich der Patientin mit, wie ich mir – auf der sachlichen und persönlichen Ebene – eine wirkungsvolle Zusammenarbeit vorstelle. Wir vereinbaren, dass wir uns bei divergierenden Vorstellungen offen und respektvoll austauschen wollen.

3 - Ich mache eine Anamnese Plus.
Zusätzlich zu den üblichen medizinisch-technischen anamnestischen Fragen interessiere ich mich für den Kontext, in dem sich die Probleme / Symptome abspielen. Welche Vorstellungen, Bedenken und Erwartungen hat der Patient? Welche Bedeutung misst er ihnen zu? Wie wirkt sein soziales und berufliches Umfeld auf sein Symptom / Problem ein – und umgekehrt? So erhalte ich einen Einblick in die subjektive Wirklichkeit, die sich der Patient geschaffen hat.

Dabei verwende ich eine angemessene und verständliche Sprache. Anstelle von «warum» und «wieso» frage ich mit Interesse nach den Beweggründen und Umständen des geschilderten Geschehens und höre aktiv zu. So stimuliere ich die Patientin zum Nachdenken. Aus ihrer Erzählung erfahre ich zusätzlich Hintergründe, und die Patientin selbst erweitert ihre Perspektive auf das Geschehen. 

4 - Wir entwickeln gemeinsam eine angemessene Handlungsweise.
Aus den Schilderungen des Patienten sowie meinen medizinischen Überlegungen und Untersuchungen erarbeiten wir ein gemeinsames Vorgehenskonzept. Auf dieser Basis vereinbaren wir gemeinsam therapeutische oder gegebenenfalls weitere diagnostische Massnahmen. Immer mit Blick auf Nutzen und Risiken. Und unter Beachtung der Relevanz für den Patienten mit seinen gesamtgesundheitlichen Umständen und seinem persönlichen Lebenskontext. 

5 - Ich baue präventive Möglichkeiten ein.
Wo sinnvoll und möglich spreche ich präventive Möglichkeiten an. Dabei wäge ich mit der Patientin sorgsam ab, ob und wieweit diese für sie persönlich relevant sein könnten. 

6 - Ich gestalte den Abschluss der Konsultation.
Ich fasse zusammen und lasse die Patientin berichten, was während der Konsultation für sie wichtig geworden ist. So können wir überprüfen, ob wir es gleich verstanden haben. Wir verteilen die notwenigen Aufgaben. Wir halten fest, wann, wie und wo die vereinbarten – medizinischen und gegebenenfalls nicht-medizinischen – Massnahmen stattfinden. Wann und wie wir die gewonnenen Informationen besprechen werden. Was bei Verschlechterung und unvorhergesehenen Ereignissen geschehen muss. Ich verabschiede die Patientin mit einigen anerkennenden und mutmachenden Worten.

7 - Ich reflektiere die Konsultation.
Ich schreibe die Krankengeschichte mit allen relevanten objektiven Befunden und subjektiven Eindrücken. Halte Pendenzen fest. Beachte insbesondere das interpersonelle Geschehen und wie es mir selbst geht. Falls persönliche Probleme hängen bleiben, bespreche ich dies mit Kolleginnen und Kollegen, gegebenenfalls in Supervisionen.

***

Vielleicht will ich mehr über diese Art der Sprechstunde lernen.
In der Aus- und Weiterbildung lernen wir zu wenig, wie wir eine Konsultation gestalten können. Wir müssen unsere Kompetenz selbst erwerben. «Learning by doing» und mit Lesen oder – idealerweise – in Kursen mit Eigenerfahrung.

Bruno Kissling, Hausarzt im Ruhestand

Einen vertieften praktischen und theoretischen Einblick bietet das Buch. Empfehlenswert sind Kurse und Fallbesprechungen in systemischer Beratung. Informationen bei Monika Maritz mar-mos@bluewin.ch oder auf der Webseite des BIHAM.