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Das Magazin der Berner Haus- und Kinderärzt:innen

Lesedauer ca. 6 Min.

Wir brauchen Nachwuchs – alles andere wird teuer

mfe - Masterplan Nachwuchsförderung

Wir brauchen Nachwuchs – alles andere wird teuer

Die Schweizer Gesundheitspolitik hat ein gravierendes Problem. Es spitzt sich immer weiter zu, und es sind nicht die Kosten. Die Rede ist vom Hausärztemangel. Statt Pflästerli und politisches Klein-Klein braucht es jetzt den viel zitierten «Ruck». Den fordert mfe mit seinem Masterplan Nachwuchsförderung, der Geld kostet, aber wir alle wissen: Richtig teuer wird es erst, wenn wir nichts tun.

Lange standen vor allem die Kosten im Zentrum der gesundheitspolitischen Diskussionen. Die Pandemiejahre haben hier aber eine Wende gebracht. 2023 lautete das wirtschaftspolitische Jammerwort «Fachkräftemangel». Den haben wir schon seit Jahren kommen sehen, haben Daten aufgezeigt, gerechnet, geredet und immer wieder gemahnt. 

Die Politik nimmt erst allmählich Kenntnis von den Personal- und Versorgungslücken, während die Bevölkerung ihn schon deutlich spürt: Zunehmende Wartefristen, Praxen mit Patient:innenstopp, Suche nach Spitalbetten im Notfall und so weiter. Noch haben wir ein sehr gutes und gut funktionierendes Gesundheitssystem. Damit das aber so bleibt, führt nichts daran vorbei, den Fachkräftemangel ernst zu nehmen und Massnahmen dagegen einzuleiten, und zwar unverzüglich.

mfe hat deshalb 2022 den Nachwuchs zu einem Schwerpunkt erklärt. Immer offensichtlicher wurde, dass bisherige Massnahmen nicht ausreichen. Der Bundesrat hatte als Teil seines Gegenvorschlags zur «Hausarzt-Initiative» mit seinem «Masterplan Hausarztmedizin» 2012 ein ganzes Bündel von Massnahmen auf den Weg gebracht. So wurden unter anderem mit einer Anschubfinanzierung des Bundes 500 zusätzliche Studienplätze in Humanmedizin geschaffen. Doch diese reichen bei weitem nicht. 

Die Schweiz hat nach wie vor eine sehr hohe Auslandabhängigkeit und eine nicht bedarfsgerechte Verteilung und Steuerung der Facharzttitel: Knapp 60% der im Jahr 2022 anerkannten Fachärzt:innen haben ihr Diplom im Ausland erworben (Medizinalberuferegister) und nur 36 % statt der angestrebten 50 % (Senn et al. 2016) verfügen über einen Facharzttitel in der Grundversorgung (Allgemein Innere Medizin, Kinder- und Jugendmedizin, Praktizierende Ärzt:innen). 50 % Grundversorger:innen, so viele wären nötig, um den Bedarf zu decken.

Weder die Aus- noch die Weiterbildung sind derzeit an den Bedürfnissen der Bevölkerung nach genügend Haus- und Kinderärzt:innen auf die ambulante Grundversorgung ausgerichtet. Eine Erhebung des Universitären Zentrums für Hausarztmedizin beider Basel (Gerber et al., IHAMBB) zählte 2021 gesamtschweizerisch 280 finanzierte Praxisassistenzstellen (sechs Monate à 100 %), mindestens 720 wären nötig, damit jede:r Haus- und Kinderärzt:in eine Weiterbildung im künftigen Arbeitsumfeld machen könnte.

Dazu kommt, dass sich die finanziellen Aussichten und organisatorische Rahmenbedingungen zusehends verschlechtern: fehlende Teuerungsanpassungen seit den 1990er Jahren, immer mehr Administration, nicht sachgerechte Limitationen, fehlende Tarifpositionen für die interprofessionellen Partner:innen wie die für die Praxis besonders relevanten Medizinischen Praxisassistet:innen und Praxiskoordinator:innen.

Als wäre das allein nicht schon genug, stellen wir auch noch steigende Dropoutquoten bereits in der Phase der Aus- und Weiterbildung fest. Das alles stimmt umso bedenklicher, wenn wir wissen, dass heute 15 % der gesamten Grundversorgerleistung von Kolleg:innen gestemmt wird (Work Force Studie IHAMBB 2020), die mindestens 65 Jahre alt sind. Diese Workforce wird eher früher als später wegbrechen, und sie tut es noch viel schneller, wenn die Rahmenbedingungen sich nicht bessern.

Es gibt also viel zu tun, und mfe will dazu seinen Beitrag leisten. Im November 2022 haben die Delegierten den mfe-Masterplan «Nachwuchsförderung» lanciert. Gemeinsam mit Partner:innen (Junge Haus- und Kinderärzt:innen Schweiz, Kollegium für Hausarztmedizin, Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, pädiatrie schweiz, Swiss Academy of Family Medicine ) haben wir einen Katalog mit 17 wichtigen Massnahmen und Forderungen erarbeitet. Sie umfasst Themen aus der Aus- und Weiterbildung und zu den Rahmenbedingungen. Konkret:

  • Selektionskriterien (Numerus Clausus) für das Medizinstudium überprüfen und anpassen
  • Verbindliche Erhöhung der Anzahl Vorlesungen und obligatorische Praktika in Haus- und Kinderarztmedizin an allen Universitäten
  • Akademisierung der Hausarztmedizin weiter fördern
  • Förderung der ambulanten Ausbildung in Haus- und Kinderarztmedizin (Praxisassistenz, Rotationen, regionale Kurse für Assistenzärzt:innen mit Ziel Haus- und Kinderarztmedizin
  • Bedarfsgerechte Steuerung der Weiterbildung über Anpassungen der Weiterbildungsordnung und -programme und Schaffung von Brückenangeboten für ausländische und praktische Ärzt:innen
  • Rahmenbedingungen verbessern: Teilzeitmöglichkeiten in der Weiterbildung, weniger Bürokratie und Administration, Interprofessionalität fördern, Aufwertung der Tarife und Skills, Abbau von Hürden für die Praxistätigkeit


In diesen Bereichen erarbeiten wir gemeinsam mit Partner:innen Massnahmepakete. Die Liste ist noch unvollständig, in vielen Punkten sind wir in der Phase der Konkretisierung. Allen ist dabei klar: Es muss sich jetzt etwas tun!

In einigen Punkten konnten wir aber auch schon sehr konkret werden: Mit den Grundversorgerorganisationen haben wir uns auf verbindliche gemeinsame Ziele und Massnahmen geeinigt und eine gemeinsame Vernehmlassungsantwort für die Botschaft SBFI (Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation) 2025-2028 eingegeben.

In einem Massnahmenpaket haben wir konkrete Forderungen benannt und bei den politischen Verantwortlichen deponiert: 100 Millionen Franken für eine Wiederauflage des Sonderprogrammes Humanmedizin zur nochmaligen Erhöhung der Anzahl Studienplätze um weitere 500 und weitere 100 Millionen Franken zur Förderung der Haus- und Kinderarztmedizin in der Aus- und Weiterbildung. Wir werden uns auch über den parlamentarischen Weg dafür stark machen, dass diese Forderungen Eingang finden in die SBFI-Vorhaben der kommenden Jahre.

Die Grundversorgerverbände, kantonal und national, und Institutionen der Aus- und Weiterbildung (Universitäten, Hausarztinstitute, Weiterbildungsstellen ambulant und stationär, SIWF, FMH etc.) werden konkret und gemeinsam an den Massnahmen und Forderungen arbeiten müssen, um die Politik davon zu überzeugen, die ambulante Grundversorgung nachhaltig zu stärken, und zwar mit klaren Zielsetzungen und ausreichend Mitteln.

Das sollte eigentlich möglich sein, denn wir wissen: Haus- und Kinderärzt:innen verursachen 7.9 % der Gesundheitskosten (Obsan Bulletin 2016/1) und behandeln damit 94.3 % der Probleme (Giezendanner et al. 2020 ) abschliessend. Sie arbeiten dafür im Schnitt zwischen 42 und 43 Stunden  (Workforcestudie 2020) – in Vollzeit entspricht das 55 Std. pro Woche (MAS Strukturdaten). Richtig teuer wird es erst, wenn ihre Zahl weiter abnimmt und die hausärztliche Versorgung nicht mehr funktioniert (Friedberg et al. 2010 / Sandvik et al. 2022)!