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Das Magazin der Berner Haus- und Kinderärzt:innen

Lesedauer ca. 5 Min.

Praxisbesuche bei Kolleg:innen – eine Lern-Chance

Carte Blanche

Praxisbesuche bei Kolleg:innen – eine Lern-Chance

Im Sinn des lebenslänglichen Lernens besuchen wir regelmässig Fortbildungen zu medizinischen und vielleicht auch bio-psycho-sozialen Themen. Aber reflektieren wir auch regelmässig, wie wir mit unseren Patient:innen umgehen, wie wir die Konsultation und den therapeutischen Prozess gestalten und wie es uns selbst dabei geht?

Jeder Arzt und jede Ärztin ist irgendwie überzeugt, dass er oder sie der beste Arzt bzw. die beste Ärztin  ist.  Dieses Selbstbild kann als anmassend gesehen werden. Vielleicht ist es aber einfach Selbstschutz, damit wir es immer wieder wagen, uns auf das Ungewisse jedes einzelnen Patienten einzulassen. 

Doch wie kann ich erkennen, ob ich wirklich ein so guter Arzt bin? Wie kann ich meine Selbsteinschätzung kritisch betrachten, mit qualifiziertem Feedback mein lebenslanges Lernen unterstützen mit dem Ziel, ein guter Arzt zu sein, der die medizinische und soziale Seite unseres Berufes gleichermassen pflegt?

Jede der nachstehenden Methoden ist wichtig und ermöglicht spezifische Erkenntnisse, hat aber auch Grenzen. Dessen müssen wir uns bewusst sein, um die Ergebnisse richtig einzuordnen.

Feedbacks, Bilanzieren, Qualitätszirkel, Supervisionsgruppen

Ich kann es dem Zufall überlassen, spontanes Feedback von Patientinnen zu erhalten. Meistens sind es Komplimente, wie sie mich als Mensch erleben. Diese Dankbarkeitsbezeugungen tun mir gut, könnten aber auch Eigenschaften bestärken, von denen ich eher zu viel habe, wie beispielsweise meine Fürsorglichkeit.

Diese fühlt sich für den Patienten zwar gut an, könnte ihn aber von der notwendigen Entwicklung seiner Eigenständigkeit abhalten. Daher ist zusätzlich eine fachliche Reflexion über mein ärztliches Handeln anzustreben.

Feedbacks kann ich bei einer Patientin mit einer Bilanz aktiv einholen. Wir besprechen, was im Behandlungsprozess bisher geschah, wie es der Patientin jetzt geht, was ihr wie geholfen hat, was weniger oder gar nicht, wie es sich auf sie und ihr Umfeld biologisch, psychologisch und sozial auswirkt.

Was auch noch fehlt mit Blick auf das Ziel des therapeutischen Prozesses und wie es weiter gehen soll ist dabei Thema. In gleicher Weise reflektieren wir auch unsere Arzt-Patientin-Beziehung.

Ich kann mein ärztliches Handeln mit (haus)ärztlichen Kolleg:innen reflektieren. Im Qualitätszirkel oder in einer supervidierten Gruppe für Fallbesprechung kann ich vertraulich über einen real erlebten Fall, der mich bewegt, berichten. Gemeinsam und voneinander lernend reflektieren wir neben den medizinischen Aspekten auch den interaktiven Prozess zwischen mir und dem Patienten: also nicht nur, was ich tue, sondern auch wie ich es tue, weshalb so und nicht anders. 

Dabei sind wir uns alle  bewusst, dass ich die Geschichte aus meiner subjektiven Warte schildere. Videoaufzeichnungen von Konsultationen geben einen besonders erhellenden Einblick in meine Arbeit und sind eine ausgezeichnete Grundlage für diese Reflexionsarbeit. Sie ermöglichen den aussenstehenden Betrachter:innen einen objektive(re)n Einblick in mein ärztliches Tun.

Praxisbesuche bei Kolleg:innen

Ich möchte hier eine Lanze für Praxisbesuche brechen. Eine erfahrene Kollegin nimmt als Beobachterin während einiger Stunden an meiner Sprechstunde teil. So kann sie all mein Tun vor, während, nach und zwischen den Konsultationen unmittelbar miterleben, auch Kontext und Atmosphäre. 

Damit der Praxisbesuch sein Lernpotential bestmöglich entfalten kann, besprechen wir im Voraus den Auftrag, worauf sie besonders achten soll. Vorzugsweise auf etwas, worin ich mich weiter entwickeln möchte. 

Beispielsweise wie ich die Konsultation gestalte, den Konsultationskontext und -auftrag kläre, wie ich die Patientin aktiv in den Therapieprozess einbeziehe. Wir machen uns bewusst, dass die Anwesenheit der Beobachterin das Konsultationsgeschehen beeinflusst: das Setting, den Patienten und mich als Arzt. 

Im Voraus frage ich den Patienten um seine Einwilligung. Ich sage ihm, dass die Besucherin, selber auch Ärztin, vor allem mich und mein ärztliches Handeln beobachte, dass der Patient Teil einer Lernsituation für mich sei, dass er jederzeit Fragen stellen oder verlangen könne, mit mir allein zu sein. So vorbereitet starten wir am Besuchstag in eine Reihe von Konsultationen. 

Nach Abschluss jeder Konsultation sitzen wir zur Besprechung zusammen. Zuerst zu dritt: Wir lösen das Lern-Setting auf, danken dem Patienten für seine Lernunterstützung und lassen ihn Fragen stellen, die bei ihm aufgekommen sind. In der nächsten Konsultation werde ich mit ihm nochmals auf diese Lern-Konsultation zurückzukommen. 

Danach zu zweit: Die Beobachterin und ich besprechen, was ihr an mir und meinem Tun aufgefallen ist, meine Stärken und Schwächen, wo welche Alternativen versucht werden könnten, was mehr und auch was weniger sein könnte, was besser unterlassen werden sollte. Ausserdem angesprochen wird mein persönliches Befinden, die Beziehung zwischen dem Patienten und mir und inwieweit ich meiner gewünschten Rolle entspreche. 

Durch einen solchen, gut geplanten Praxisbesuch kann ich erfahren, ob meine Selbsteinschätzung einem kritischen Aussenblick standhält, wo ich so gut bin, wie ich meine, und wo ich besser werden kann. Daraus abgeleitet können gemeinsam Ideen für weiteres Lernen entwickelt werden.